Die Zügel auf die Schenkel legen!
Wie Schenkelhilfen unsere Zügelhilfen unterstützen.
Im Beitrag „Weg vom Zügel I – der Trick mit der Zügelhilfe” haben wir uns der Impulsreitweise gewidmet – im Speziellen dem korrekten Annehmen und Nachlassen der Zügel zur lateralen Biegung des Pferdes. Im Live-Video haben wir euch gezeigt, wie Pferde auf unterschiedliche Zügelhilfen mit Widerwillen oder Nachgiebigkeit reagierten. Wie schon im letzten Beitrag angedeutet, ist Impulsreiten jedoch nicht alleine auf die Zügel beschränkt – vielmehr lassen sich so auch alle Schenkelhilfen hervorragend ans Pferd bringen. Im 2. Teil des Beitrages zeigen wir euch, wie die Schenkelhilfen zur lateralen Biegung des Pferdes so eingesetzt werden, dass Zügelhilfen nahezu überflüssig werden. Wir nennen das: „Den Zügel auf den Schenkel legen.“
Text / Videoschnitt: Rolf Schönswetter / Kamera: Tamara Stegmaier
Bei permanent anstehendem Schenkeldruck kann das Pferd leichter in Opposition (also gegen den Druck) gehen, als bei impulsartiger Hilfengebung. Drum sollten nicht nur die Zügelhilfen sondern auch die Schenkelhilfen niemals dauerhaft anstehend eingesetzt werden.
Um es gleich mal vorwegzunehmen: Es ist schon klar, dass alle Hilfen, die es ans Pferd zu bringen gilt, letztlich nicht unabhängig voneinander zu sehen sind. Jeder, der seinem Pferd und sich eine solide Grundausbildung zugutekommen lässt, weiß das: Es ist immer ein sinnvolles Zusammenspiel von Gewichts-, Schenkel- und Zügelhilfen, die letztlich gutes Reiten ausmachen – übrigens fast immer auch in der beschriebenen Reihenfolge.
Ein guter Sitz, der es ermöglicht, das Pferd über die Balance zu reiten, ist dabei Voraussetzung für sinnvolle Impulshilfen. Wer im Sattel noch Schwierigkeiten mit seinem Gleichgewicht hat, wird sich wohl schwertun, Beine und Hände unabhängig und fein dosiert ans Pferd zu bringen. Es ist also noch Übungsbedarf vorhanden.
Die laterale Biegung von Kopf und Hals lässt sich bereits vom Boden aus prima einüben…
… und ist letztlich der Erfolgsgarant für ein nachgiebiges laterales Stellen im Sattel.
Erste Hilfe Bodenarbeit
Noch keine Gedanken über den richtigen Sitz muss sich machen, wer zunächst mit Bodenarbeit beginnt. Denn wie schon im Teil 1 des Beitrages gezeigt, lässt sich die laterale Biegung von Kopf und Hals bereits vom Boden aus prima einüben. Doch Achtung: Erst wenn das Pferd bei der Zügelübung wirklich willig nachgibt und selbsttragend die seitliche Stellung hält (ohne sofort wieder Kopf und Hals gerade zu richten), können wir uns den nächsten Schritten, den Schenkelhilfen zuwenden. Klappt das noch nicht, heißt es für uns und das Pferd: üben, üben, üben! Haben Pferd und Mensch ihre Aufgaben gemeistert, können wir beginnen, die Zügelhilfe auf den Schenkel zu übertragen.
Warum den Zügel auf den Schenkel legen?
Natürlich steckt ein Sinn dahinter, mit den Schenkeln so unterstützend einzuwirken, dass Zügelhilfen zur Stellung und Biegung nahezu überflüssig werden:
- In erster Linie ist es unser Ziel, das Pferd am Kopf und im Maul so wenig wie möglich zu stören.
- Die laterale Biegung über den gesamten Pferdeköper lässt sich besser vermitteln, wenn das Pferd lernt, sich um den verwahrenden (anliegenden aber nicht drückenden) inneren Schenkel zu biegen.
- Auch wer sein Pferd in einhändiger Zügelführung reitet, wird es zu schätzen wissen, wenn sich das Pferd über den Schenkel leicht lateral biegen lässt.
- Und last but not least: Wer sich der Herausforderung stellen möchte, könnte so auch manch gymnastizierende Übung gänzlich ohne Zügelhilfen reiten – ein wunderbares Statement für beste Verständigung und großes Vertrauen zwischen Pferd und Mensch.
Erst Schenkel dann Zügel
Um in einem ersten Übungsschritt dem Pferd die laterale Biegung grundsätzlich näher zu bringen, haben wir im Teil 1 des Beitrages ausschließlich Zügelimpulse benutzt. Jetzt nehmen wir den Schenkel dazu, den wir, weil wir ja zunächst vom Boden aus trainieren, mit der Hand simulieren müssen. Wir stellen uns zunächst links neben das Pferd, etwa auf Höhe der Sattellage. Den linken Zügel halten wir leicht durchhängend in der linken Hand, die rechte Hand bildet eine lockere Faust, die mit der Daumenseite zum Pferd zeigt. Das ist unsere Ausgangsposition
Erst wenn das Pferd fein auf die Zügelhilfe reagiert, können wir mit der Schenkelübung beginnen.
So sieht die korrekte Ausgangsposition für die Schenkelübung aus.
Jetzt müssen wir unserem Pferd beibringen, dass wir nun die seitliche Abstellung nicht mehr über Zügel-, sondern in erster Linie über Schenkelimpulse anfordern möchten. Unsere primäre (erste) Hilfe wird also der Schenkel, die sekundäre (zweite) Hilfe der Zügel. Folgendermaßen gehen wir nun vor: Mit minimalen Impulsen tippen wir mit dem Daumenrücken der rechten Hand dort an den Pferdekörper, wo unser Bein ruhen würde, wenn wir im Sattel säßen. Achtung: Nur so leicht tippen, dass das Pferd nicht seitlich den Impulsen ausweicht.
Tut es das trotzdem, weitertippen und passiv mitgehen, bis es stehenbleibt. Dann sofort den „Schenkeldruck“ wegnehmen. Das ist wichtig, denn unser Vierbeiner soll ja nicht lernen, diesen Impulsen seitlich zu weichen. Zu Beginn der Übung kann es auch mal nötig sein, die Impulse mit der Daumenspitze etwas zu verstärken.
Mit dem Daumenrücken werden die Schenkelimpulse simuliert und …
… wenn nötig, mit der Daumenspitze verstärkt.
Bleibt das Pferd nun stehen, reagiert aber nicht auf unsere Impulse, nehmen wir zum Tippen der rechten Hand, die Zügelhilfe der linken Hand dazu. Wichtig ist: zusätzlich! Denn die Primärhilfe (Schenkel) bleibt bestehen, indem wir gleichbleiben leicht weiter tippen. Die Sekundärhilfe (Zügelimpulse) kommt dazu und steigert sich nach und nach bei jedem Impuls ein bisschen, bis das Pferd lateral nachgibt. Gibt es nach, lösen wir die Übung sofort auf (beide Hilfen wegnehmen) und loben unser Pferd mit Ruhe und Streicheln. Dann wieder holen wir die Übung.
Reagiert das Pferd nicht auf die simulierte Schenkelhilfe, nehmen wir zur Verstärkung die Zügelhilfe (Sekundärhilfe) dazu.
Wir gehen immer gleich vor: Zuerst das gleichmäßige leichte Tippen mit der rechten Hand, dann die sich steigernden Zügelhilfen. Das Pferd lernt, dass die Aktion des Menschen aufhört, wenn es mit Nachgiebigkeit reagiert. Und weil es unnütze Aktionen vermeiden möchte (um Energie zu sparen), wird es das immer früher tun.
Je nach Charakter wird jedes Pferd früher oder später auf den Schenkelimpuls nachgiebig die seitliche Abstellung geben und selbsttragend halten. Aufgelöst wird die Übung immer mit Lob. Streicheln wir das Pferd am Mähnenkamm, darf es die Stellung auflösen und entspannen. Bleiben wir dabei konsequent, geduldig, beharrlich und fair, ist das eine feine Übung, die einer besseren Pferd-Mensch-Beziehung sehr zuträglich ist.
Vom Boden in den Sattel
Der zweite Schritt, also die laterale Biegung über den Schenkel im Sattel, ist normalerweise kein großes Ding mehr – vorausgesetzt, wir haben am Boden unsere Hausaufgaben gut gemacht. Wir sitzen neutral im Sattel, der Schwerpunkt von Pferd und Mensch ist im Lot. Die Beine ruhen locker und mit weinig Gewicht beziehungsweise Druck in den Steigbügeln.
Steigbügeltest: Die Beine sollten leicht im Steigbügel ruhen.
Wie sich das anfühlen soll, kann man gut überprüfen, indem wir eine zweite Person bitten, zwei Finger zwischen Schuh und Steigbügel zu legen. Der prüfende Blick ins Gesicht unseres Probanden zeigt uns schnell, ob wir zu fest in die Steigbügel drücken.
Je leichter wir die Steigbügel belasten, desto weniger beeinflusst das unseren Sitz und desto freier können wir unsere Beine am Pferd positionieren. Die Zügel halten wir ebenfalls locker und leicht durchhängend in den Händen.
Wie zuvor schon bei der Bodenarbeit, fordern wir nun über leichtes Impulsieren mit dem linken Schenkel die laterale Stellung an. Nicht wenige Pferde geben auf diese erste Hilfe schon seitlich nach, weil sie den Bewegungsablauf aus der Bodenarbeit kennen. Falls nicht, folgt das gleicht Prozedere wie am Boden. Zusätzlich zu den gleichbleibend leichten Impulsen des Schenkels nehmen wir die Zügelhilfe hinzu – beginnend auch wieder leicht und steigernd, bis die gewünschte Reaktion erfolgt.
Auch im Sattel gilt, reagiert das Pferd nicht auf unsere Schenkelimpulse, nehmen wir zur Verstärkung die Zügelhilfe dazu.
Auch zu diesem Zeitpunkt lernen Pferde schnell, unnötigen Energieverbrauch zu vermeiden. Schritt für Schritt wird sich die Nachgiebigkeit verbessern, bis unser vierbeiniger Freund willig und selbsttragend die Stellung hält. Auch hier löst das Lob (kraulen am Mähnenkamm) die Übung auf.
Übrigens: Übung macht den Meister! Viele Wiederholungen, immer mal zwischendurch, festigen die Schenkelhilfe. Wer sich hier die Mühe macht und fleißig bei der Sache ist, der wird später die Früchte seiner Arbeit schneller ernten können – denn die nächste Herausforderung steht schon vor dem Hallentor: Die laterale Biegung in Bewegung, beispielsweise auf Geraden, Volten oder später in gymnastizierenden Übungen. Themen, über die wir sicher in einem der nächsten Beiträge berichten werden.
Keine Doppelbelegung von Hilfen!
So verschieden die Reitweisen, Trainingsmethoden oder Zielsetzungen in der Reiterei sind, so unterschiedlich sind manchmal die angewandten Hilfen, die der Mensch ans Pferd bringt. Gewichtsweisend, gewichtsweichend, anstehend, impulsartig usw. sind nur einige Schlagwörter, die in diesem Zusammenhang mit der Hilfengebung fallen. Was das Beste für sich und sein Pferd ist, muss wohl jeder selbst entscheiden.
Eins steht aber fest: Wie auch immer die jeweilige Hilfe benannt wird und welchem Zweck sie dient, sie darf nur mit einer einzigen Aktion belegt sein! Ein Beispiel: Wie hier im Beitrag beschrieben, steht das einseitige Pulsieren mit dem Schenkel (in Neutralstellung) für die laterale Biegung des Pferdes in Kopf und Hals. Damit ist diese Hilfe belegt und kann für nichts anderes mehr benutzt werden.
Würden wir nun die gleiche Hilfe verwenden, um das Pferd seitlich vom Schenkel weg in den Sidepass weichen zu lassen, wüsste unser Vierbeiner nicht, ob wir die laterale Biegung oder den Sidepass anfragen. Solche zwei- oder gar mehrdeutige Hilfen führen unweigerlich zu Missverständnissen und verwirren nur. Drum müssen wir gut aufpassen, wie wir unsere Hilfen dem Pferd gegenüber darstellen.
Wir könnten den Sidepass auch unmissverständlich definieren, indem wir zusätzlich zur Schenkelhilfe unser Gleichgewicht in Bewegungsrichtung (Sitzhilfe) verlagern. Jetzt kennt sich unser Pferd aus:
- Schenkelhilfe alleine = laterale Biegung,
- Schenkelhilfe + Sitzhilfe = Sidepass.
Kommen unsere Hilfen also beim Pferd nicht an, sollten wir das Augenmerk auch darauf richten, ob wir uns verständlich und eindeutig ausdrücken. Unsere Pferde werden es uns mit mehr Nachgiebigkeit und Selbstverantwortung belohnen.