Vom Boden in den Sattel Teil I
Dass sich das Training vom Boden aus hervorragend für eine positive Beziehungsarbeit zwischen Mensch und Pferd nutzen lässt, ist inzwischen vielen bekannt. Weniger scheint sich herumgesprochen zu haben, dass über die Bodenarbeit Pferd und Mensch auch hervorragend gymnastizierende Übungen erlernen können, wie beispielsweise die Lateralkontrolle, Volte mit Einwärtsstellung oder Schenkelweichen auf Geraden und Bögen. Leider mühen sich gerade unerfahrene Reiter auf ihren Pferden noch viel zu oft mit solchen Manövern ab, ohne wirklich ein für beide Beteiligten befriedigendes Ergebnis zu erzielen. Dabei würde »abzusteigen« und sich der Sache »zu Fuß« anzunähern eine erfolgversprechende Alternative bieten.
Text: Rolf Schönswetter / Fotos: Gerhard Bauer-Schmitz
Vom Boden aus lernen Pferde schneller (Kommunikation per Körpersprache), der Reiter stört das Pferd nicht in seiner Bewegung (Gleichgewicht) und Fehler in den Bewegungsabläufen sind leichter erkennbar (visuelle Kontrolle). Der folgende Beitrag stellt keine detaillierte Anleitung einzelner Übungen dar. Vielmehr zeigt er das sinnvolle Zusammenwirken zwischen der Arbeit mit dem Pferd am Boden und dem Training unter dem Sattel auf. Im Teil 1 des Beitrages beschäftigen wir uns mit der Lateralkontrolle und Volten in Einwärtsstellung – zunächst vom Boden und dann unter dem Sattel.
In der Reiterwelt mag ja so einiges kontrovers diskutiert werden. Doch in einem sind sich viele Pferdehalter einig – ganz gleich, welchem reiterlichen „Lager“ sie angehören. Will man ein Pferd bis ins hohe Alter fit und gesund erhalten, wird sich der Pferdebesitzer dem Thema „Gymnastizierung“ stellen müssen.
Grundsätzlich ist beim Pferd von Natur aus weder Skelett noch Muskulatur dazu ausgelegt, schwere Lasten zu tragen. Setzt sich der Mensch aufs Pferd, muss es erst einmal lernen, sich unter dem Reiter neu auszubalancieren – eine für das Pferd nicht immer leicht zu bewerkstelligende Aufgabe, verhält sich doch die „bewegliche“ Last auf dem Rücken nicht immer vorhersehbar. Wer schon mal ein zappelndes Kind auf seinen Schultern getragen hat, weiß, wie schwer es dann ist, normal geradeaus zu laufen. Um trotz des zusätzlichen Gewichts die Beweglichkeit des Pferdes zu verbessern, die Muskulatur aufzubauen, Verspannungen zu vermeiden und Blockaden zu lösen, sind gymnastizierende Übungen ein bewährtes Mittel.
Gymnastizierung am Boden
Der Haken daran ist, dass Pferd und Reiter die Bewegungsabläufe dieser Übungen erst einmal erlernen müssen, bevor sich die gewünschte Wirkung erzielen lässt. Doch wer sich in seinem Reiterleben schon mal mit Schenkelweichen, Seitengängen, Rückwärts oder ähnlichem beschäftigt hat, hat bestimmt auch schnell gemerkt, dass der Teufel im Detail steckt und sich die ganze Angelegenheit leichter anhört als in die Tat umsetzen lässt.
Dabei muss man zunächst gar nicht im Sattel sitzen, um diese Übungen Pferd und Reiter nahe zu bringen. Denn bereits vom Boden aus lassen sich fast alle gymnastizierenden Elemente einfach erarbeiten und gut trainieren. Gerade bei jungen und noch wenig ausgebildeten Pferden oder bei Reitanfängern ist diese Methode hervorragend geeignet, sich der Materie locker und entspannt zu nähern. Die Vorteile liegen klar auf der Hand:
- Junge Pferde, die am Anfang ihrer Ausbildung stehen, lernen bereits frühzeitig alle Bewegungsabläufe spielerisch, ohne durch das Reitergewicht belastet oder gestört zu werden.
- Der Mensch sieht, wie sich das Pferd neben ihm bewegt, beispielsweise wann welches Bein ab- und auffußt, ob die Beine richtig kreuzen oder ob die Hinterhand verstärkt unter den Schwerpunkt tritt. Dadurch bekommt der Reiter ein besseres Gespür für die Bewegungsabläufe des Pferdes (Feeling, Timing, Balance).
- Haben Pferd und Reiter die Bewegungsabläufe bei der Bodenarbeit durch viele Wiederholungen verinnerlicht, sind die entsprechenden Übungen vom Sattel aus viel leichter abzurufen.
Entspanntes Nachgeben bei der Lateralkontrolle: Pintoaraber Jackson hält die seitliche Abstellung selbsttragend am durchhängenden Seil.
Lateralkontrolle am Boden
Die laterale (seitliche) Biegung des Halses ist eine elementare Übung beim Gymnastizieren von Pferden. In der Bodenarbeit wird sie als „Lateralkontrolle“ bezeichnet und dient in erster Linie zur Schulung der seitlichen Nachgiebigkeit.
Eine gedehnte seitliche Halsmuskulatur ist die Grundlage für Leichtigkeit beim Stellen und Positionieren des Kopfes in vielen weiterführenden Übungen. Zusätzlich wird dadurch auch ein bereitwilliges vertikales Nachgeben des Pferdes im Genick gefördert.
Wer im Sommer schon mal Pferde auf der Weide beobachtet hat, wird bestimmt bemerkt haben, dass unsere Vierbeiner die seitliche Biegung perfekt beherrschen – jedenfalls wenn sie lästige Fliegen an ihrer Flanke vertreiben wollen. Leider ist mit dieser Leichtigkeit schnell Schluss, wenn der Mensch die Abstellung über Seil oder Zügel vom Boden oder Sattel aus anfordert. Dann scheint der Hals plötzlich komplett steif zu sein und man möchte meinen, das Pferd könne nur geradeaus schauen.
Auch das hat seinen Grund, der im instinktiven Verhalten des Pferdes liegt. Denn der Hals dient dem Pferd quasi als Balancestange um Störungen im Gleichgewicht, beispielsweise in unwegsamem Gelände auszugleichen. Gibt das Pferd die Kontrolle des Halses an den Menschen ab, gibt es damit auch die Kontrolle über sein Gleichgewicht ab. Dazu sind Fluchttiere nicht von vornherein bereit, bedeutet der Verlust des Gleichgewichts doch eine massive Bedrohung für Leib und Leben. Wer das Gleichgewicht verliert, fällt leicht um und wer am Boden liegt, landet schnell mal als Abendessen in Raubtierschlünden.
Vom Boden aus lässt sich die Lateralkontrolle dem Pferd gut vermitteln – vorausgesetzt, man hat vorher in puncto Führungs- und Vertrauensarbeit seine Hausaufgaben gemacht (siehe Beitrag „Eigentlich-Aber“ Syndrom). Wie bei vielen Übungen der Bodenarbeit, wird von Beginn an darauf geachtet, dass die Hilfengebung vom Boden aus weitestgehend der reiterlichen Hilfe entspricht. Schließlich wollen wir die Bewegungsmuster vom Boden so gut es geht auf den Pferderücken übertragen. Deshalb liegt unsere Ausgangsposition auf Höhe der Sattellage. Wir stehen zunächst links vom Pferd, legen das Führseil in einer großen Schlaufe locker über den Pferderücken. Der rechte Arm leicht auf die Sattellage gelegt und fixiert das Seil.
Dann führen wir die linke Hand am durchhängenden Führseil entlang Richtung Pferdekopf und fordern das Pferd mit seitlichen Impulsen über das Knotenhalfter dazu auf, den Kopf leicht in unsere Richtung zu stellen. Gibt das Pferd dem Druck nach, erfolgen alle weiteren Impulse nach hinten oben, Richtung Widerrist, bis der Pferdehals etwa 90 Grad abgestellt ist. Die Hilfengebung findet so statt, dass bereits vom Boden aus die spätere einseitige Zügelführung auf dem Pferd simuliert wird.
Ziel ist es, dass das Pferd im Stillstand diese Stellung am losen Seil einige Sekunden selbstständig hält und erst auf Anforderung Hals und Kopf wieder gerade richtet. Lässt sich die Lateralkontrolle auf der linke Seite mehrmals hintereinander mit Leichtigkeit abrufen, wechseln wir auf die rechte Pferdeseite und wiederholen dort die Übung.
Deshalb ist der anfängliche Widerwille nachzugeben für das Pferd eher ein geistiges (instinktives) denn ein körperliches Problem. Hat das Pferd jedoch gelernt, seinem Menschen zu vertrauen und ihm die Führung zu überlassen, ist es eher dazu bereit, Kontrolle abzugeben.
Vom Boden in den Sattel: nachgiebige laterale Abstellung des Halses durch feine Zügelhilfe.
Lateralkontrolle im Sattel
Vom Sattel aus unterscheidet sich die Hilfengebung für die Lateralkontrolle kaum von der „Version“ am Boden. Wir sitzen gewichtsneutral im Sattel und lassen die Zügel auf beiden Seiten gleich lang durchhängen. Egal ob wir nun mit Wassertrense, Sidepull oder Hackamore arbeiten, erfolgt auch hier die Zügelhilfe impulsartig und einseitig. Wurde die Übung am Boden gut vorbereitet, lassen sich jetzt die Früchte der Bodenarbeit ernten und das Pferd gibt willig auf beiden Seiten nach. Je öfter die laterale Biegung wiederholt wird, desto besser wird das Pferd im Hals auch nachgeben. Dabei lässt sich gut beobachten, wie sich die muskuläre Ausprägung des Pferdehalses positiv verändert, sich der Unterhals lockert und die Oberhalslinie gestärkt wird.
Die Lateralkontrolle sollte nicht unterschätzt werden. Denn ohne seitliche Nachgiebigkeit sind Übungen wie beispielsweise Volten mit Einwärtsstellung, Schulterherein, Travers oder Traversalen nicht zu reiten. Jeder, der damit noch zu „kämpfen“ hat, muss weiter an der Basis arbeiten, sprich der Lateralkontrolle.
Volte mit Einwärtsstellung am Boden
Eine Übung, die auf die zuvor beschriebene Lateralkontrolle aufbaut, nennt sich „Volte mit Einwärtsstellung“. Sie ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil bei der Gymnastizierung von Pferden:
Der Unterschied zur zuvor beschriebenen Lateralkontrolle besteht darin, dass diese Übung in Bewegung (zu Beginn nur im Schritt, später auch im Trab oder Galopp) durchgeführt wird und deshalb die seitliche Abstellung nicht größer als 45 Grad sein sollte. Biegungen von 90 Grad oder gar darüber würden zur Hyperflexion führen und das Pferd auf Dauer massiv schädigen.
Nun – setzten wir mal voraus, dass unser Vierbeiner die Basisarbeit auf dem Zirkel schon gelernt hat und sich über die Vorhand senden beziehungsweise die Hinterhand stoppen lässt. Zu Beginn der Lektion senden wir das Pferd also auf eine kleine Volte links um uns herum. Wir stehen in der Mitte, das Pferd bewegt sich im Schritt etwa eine Sticklänge entfernt auf der Kreislinie um uns herum. Der Hals und Kopf ist zunächst nur leicht gestellt.
Denn im ersten Schritt sollte unser Pferd zunächst lernen, den Abstand zu uns zu halten und nicht nach innen zu drängen oder nach außen zu ziehen. Dazu legen wir den Stick locker auf die Sattellage und können so an unserem „Abstandshalter“ nun ablesen, ob unser Trainingspartner auf einer exakten Kreislinie läuft oder nicht.
- Das Pferd lernt dadurch, seinen gesamten Körper zu biegen und sich besser auszubalancieren.
- Durch das vermehrte Untertreten des inneren Hinterbeins unter den Schwerpunkt wird die Hinterhand deutlich aktiviert.
- Nicht zuletzt stellt die Volte mit Einwärtsstellung eine vorbereitende Übungen zum Geraderichten des Pferdes dar (z. B. direkte und indirekte Schulterkontrolle, Schulterherein, Traver, usw.).
Volte mit Einwärtsstellung: Läuft das Pferd die Volte mit aufgerichteter Schulter und abgestelltem Hals am losen Führseil, wird es Zeit…
Zieht das Pferd nun nach außen, holen wir es über leichte Seilimpulse wieder auf die ursprüngliche Line zurück. Drückt es nach innen, klopfen wir mit dem Stick solange leicht an die Schulter, bis auch hier die Volte wieder passt. Letzteres dient übrigens auch zur Korrektur, sollte sich das Pferd auf die innere Schulter legen und/oder im Genick verwerfen.
Im zweiten Schritt fordern wir nun mehr und mehr Stellung – wohlgemerkt maximal 45 Grad. Viele Pferde neigen in diesem Stadium des Trainings dazu, sich vermehrt auf die innere Schulter zu legen, um damit Gleichgewichtsprobleme zu kompensieren. Timing und Feeling sind hier gefragt, um im richtigen Augenblick mit der angemessenen Hilfe zu agieren. Denn Ziel ist es, dass das Pferd mit aufgerichteter Schulter und abgestelltem Hals am losen Führseil auf der Volte läuft.
… in den Sattel zu steigen. Auf dem Bild gut zu sehen, wie das innere Hinterbein leicht nach außen unter den Schwerpunkt kreuzt.
Volte mit Einwärtsstellung im Sattel
Ist dies der Fall, wird es Zeit, die Übung vom Boden in den Sattel zu übertragen. Haben Mensch und Pferd ihre Hausaufgaben gemacht, wird sich der Erfolg relativ schnell einstellen. Schließlich hat unser Vierbeiner die Bewegungsmuster intus und muss jetzt „nur“ noch mit dem zusätzlichen Reitergewicht klar kommen. Bei den benötigten Hilfen gibt es auch kleine Unterschiede:
Zieht das Pferd nach innen oder außen, wird das mit dem Sitz (Reiten übers Gewicht) korrigiert: Das heißt, drückt das Pferd nach innen, setzt sich der Reiter leicht nach außen, drückt es nach außen, verschiebt der Reiter sein Gewicht leicht nach innen.
Legt sich das Pferd auf die innere Schulter, wird das auch über das Gewicht (nach außen setzen) und durch Impulse des inneren Schenkels Richtung Schulter korrigiert. Die Zügelhilfe erfolgt wie bei der Lateralkontrolle, bei maximal 45 Grad Abstellung.
Wie gehts weiter?
Im zweiten Teil „Vom Boden in den Sattel II” werden wir uns damit beschäftigen, wie wir unseren Pferden vom Boden aus weitere gymnastizierende Übungen beibringen und diese dann in den Sattel übertragen. Auf dem Programm stehen:
- Schenkelweichen auf der Geraden
- Schenkelweichen auf Volten
- richtiges und williges Rückwärts
- Sidepass
Die Bodenarbeit hat eine jahrelange Tradition. Nicht zuletzt deswegen, weil die erste Kommunikation zwischen Mensch und Pferd nicht beim Reiten entsteht, sondern wenn wir unseren Vierbeinern gegenüber stehen. Drum macht es auch keinen Sinn, zwischen Bodenarbeit und Reiten eine Trennlinie zu ziehen. Pferde beobachten uns, wenn wir in ihrer Nähe sind. Sie registrieren permanent unser Verhalten und schätzen uns dann ein. Bodenarbeit wirkt, sie beruht auf der natürlichen Kommunikationsebene der Pferde – warum also sollten wir sie nicht nutzen, wenn es dem Wohle unserer Pferde und uns dient.