Würde ist nicht nur ein Konjunktiv!
In der Märzausgabe 2018 der Zeitschrift HORSEMAN widmet sich der aktuelle Gemeinschaftsbeitrag ausführlich dem Thema »Aufrichtung in der Pferdeausbildung«, zu dem auch wieder einige Trainer ihre Meinung beisteuerten. Auch ich habe dazu ein Statement abgegeben, mit dem Titel: »Würde ist nicht nur ein Konjunktiv!« Denn gerade die Pferde- und Reitausbildung in Anlehnung an die klassisch-kalifornische Tradition – wie ich sie für die Grundausbildung von Pferd und Mensch aller Reitweisen für absolut wichtig und richtig erachte – wird der würdevollen Umgang mit Pferden großgeschrieben! Wer mehr zum Thema erfahren möchte, kann sich hier die entsprechende Ausgabe bestellen:
HORSEMAN Ausgabe März 2018
Text: Rolf Schönswetter / Fotos: Tamara Stegmaier, Christina Lausecker
Was Aufrichtung biomechanisch bedeutet, ist hier nicht das Thema. Denn der Hauptautor des HORSEMAN-Beitrags, Tom Büchel, hat dies im Einführungsteil ebenso gründlich wie ausführlich getan. Mir geht es hier um die »Würde« des Pferdes und da komme ich jedes Mal in Diskussionslaune.
Klassische Handarbeit in der Hackamore:
Pferde finden durch eine würdevolle und kompetente Ausbildung von alleine eine körperlich und geistig gesunde Aufrichtung.
Ganz bestimmt sogar komme ich in Diskussionslaune, wenn ich wiederholt sehen muss, wie Menschen mit irgendwelchen Hilfsmitteln ihre Pferde zusammengeschnallt haben – und so eine sinnvolle Aufrichtung eher verhindern als fördern.
Nicht, dass ich mich da permanent einmischen würde – das macht in vielen Fällen eh keinen Sinn und würde zu nichts führen. Nur, diese Leute erzählen dann meinen Schülern, dass ihr Weg der bessere sei, damit der verdammte Gaul endlich die Rübe runternehme.
Die sich in manchem Stall daraus entwickelnde Gruppendynamik, macht es Menschen, die mit ihren Pferden einen anderen Weg gehen wollen, echt schwer! Obwohl sie eigentlich sehen müssten, dass sich die Verhaltensweisen und Pferd-Mensch-Beziehungen verändern beziehungsweise verbessern, hört das Besserwissern nicht auf.
Eine für das Pferd gesunderhaltende relative Aufrichtung kommt aus einer aktiven Hinterhand und leicht aufgewölbtem Rücken. Hier in leichter Anlehnung am Zügel.
Es wäre viel einfacher, wenn alle mal genauer hinschauen und reflektieren würden. Denn das Wörtchen »würde« ist nicht nur ein Konjunktiv. Großgeschrieben ist es ein Ausdruck an Pferden, der mir sehr gefällt.
Wenn Pferde sich bewegen, sollten sie das mit Würde tun. In einer würdevollen Aufrichtung, die den Charaktereigenschaften der Pferderasse entspricht. Denn Pferde mit Würde zu behandeln, heißt nun mal auch, sie auch so aussehen zu lassen!
Niedergebundene Pferdeköpfe und in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkte Pferdehälse, sei es an Longen oder unter dem Sattel, lassen kein Pferd würdevoll aussehen. Niemals! Das Ergebnis sind gebrochene Pferde, deren Blick aus traurigen Augen Bände spricht. Mir tun diese Pferde unendlich leid und ich wundere mich immer wieder, wie viel sich diese edlen Geschöpfe letztendlich von uns Menschen gefallen lassen.
Dabei braucht man meiner Ansicht nach keine Ausbinder oder ähnliches Hilfsgedöns, welches die Bewegungsfreiheit (massiv) einschränkt. Alles, was der Mensch an unnötiges Hilfswerkzeug ans Pferd baut, zeugt doch letztlich nur von der eignen Hilflosigkeit. Was man braucht, ist mehr Zeit und Geduld, damit das Pferd lernen kann, seine (relative) Aufrichtung zu finden.
Wer sich eingehender mit dem Thema Bodenarbeit beschäftigt, kann hier schon den Grundstock für das spätere Reiten legen. Übungen zur seitlichen (lateralen) Abstellung von Kopf und Hals und zur vertikalen Nachgiebigkeit im Genick sind hervorragend geeignet, eine körperlich und geistig gesunde Aufrichtung zu fördern. Dazu sind keine Ausbinder oder Hilfszügel nötig!
Kombiniert man dazu Übungen zur Aktivierung der Hinterhand aus der klassischen Handarbeit (z. B. Kreuzen der Hinterhand, Schulterherein, Travers, Traversale) mit Zirkelarbeit (z. B. Übergänge der Gangarten, usw.), kann das Pferd eine würdevolle Aufrichtung mit aufgewölbtem Rücken entwickeln.
Gerade bei Jungpferden, bevor sie dann als Vierjährige angeritten werden, ist das eine hervorragende Grundausbildung. In der Regel sind so trainierte Pferde muskulär ausgeprägter und auch in punkto Balance viel weiter vorangeschritten, als ihre gleichaltrigen untrainierten Kollegen.
Spielt dabei Zeit eine untergeordnete Rolle und wird auf die körperlichen und geistigen Belange des Pferdes Rücksicht genommen, wird das Ganze auch zum Meilenstein in der eigenen Pferd-Mensch-Beziehung. Die Dinge laufen besser, weil das Pferd auch über seine eigene Körperwahrnehmung Vertrauen zum Menschen aufbauen konnte.
Natürlich ist das alles nicht so einfach, wie es dasteht. Es fordert von uns Menschen ein hohes Maß an Wissen, Selbstdisziplin, Können und Ehrlichkeit in unserer eigenen Wahrnehmung. Es fordert von uns die Bereitschaft zur eigenen Weiterentwicklung und sich gegebenenfalls Rat einzuholen, wenn’s mal nicht weitergeht.
Würden sich doch mehr Menschen an die eigene Nase fassen und ihren Pferden das geben, was sie verdienten: Würde! Ja dann – dann wäre »würde« nicht nur ein Konjunktiv.