Einblicke in den Pferdealltag mit einem Augenzwinkern!
Als Pferdetrainer begegnet man in Ställen immer wieder einem vermeintlich unscheinbaren Begriff: gemeint ist das Wörtchen »eigentlich«! Jene, die mich und mein Training kennen, werden jetzt schmunzeln – sie wissen, was passiert, wenn sie dieses Wort in den Mund nehmen. Denn eigentlich bezieht das einschränkende »aber« mit ein: Eigentlich war das Essen gut, aber eine bisschen mehr Salz hätte nicht geschadet. Eigentlich war der Film gut, aber das Ende war nicht ganz stimmig. Eigentlich ist mein Pferd brav, aber… Nun, hundertprozentige Zufriedenheit klingt anders.
Text: Rolf Schönswetter / Fotos: Gerhard Bauer-Schmitz
Eines ist klar, wir lügen uns in die eigene Tasche, wenn wir dieses Wörtchen im Zusammenhang mit guten Pferd-Mensch-Beziehungen benutzen. Wollen wir kooperative Pferde an unserer Seite, müssen wir das Eigentlich aus unserem Wortschatz streichen und an unserer Wahrnehmung und Konsequenz arbeiten. Und das ist gar nicht so schwer, wenn man nicht erst auf dem Reitplatz damit beginnt.
So könnten schlechte Pferde-Mensch-Beziehungen aussehen (gestelltes Bild)
Gute Pferd-Mensch-Beziehung: Das Pferd geht (frei)willig am durchhängenden Zügel mit.
Es ist Freitag Nachmittag, der Pferdebesitzer kommt in den Stall, die Woche war anstrengend und endlich steht das erholsame Wochenende bevor. Zur Begrüßung seines Pferdes, es hat den Spitznamen Lauser, gibt es ein paar Leckerli. Schließlich hat man sich, Mensch und Pferd, das verdient und außerdem trägt es einer entspannten Atmosphäre bei. Beim Aufhalftern zickt der kleine Racker ein bisschen und reckt seinen Kopf in die Höhe, was bei einem Stockmaß von über 1,70 Meter eine echte Herausforderung darstellt. Aber was soll´s – so ist er halt, der Lauser. Nach etwa zehn Minuten Gerangel, zweimaligem Ausheben und einer lebensgefährlichen Galopp-Pirouette sitzt das Stallhalfter perfekt und das Zweiergespann kann frohen Mutes die Box verlassen.
Lauser freut sich dermaßen auf das nahende Training, dass er flugs durch die Boxentüre drängt und seinem Menschen zu ein paar blauen Flecken an Schulter und Hüfte verhilft. Die Frage, wer als erster den Putzplatz erreicht, erübrigt sich. Zur Belohnung, diese Hürde erfolgreich gemeistert zu haben, gibt es wieder ein paar Leckerli – nicht zuletzt, um Lauser auf Führstricklänge an den Anbindering zu locken.
Dann wird geputzt, gründlich geputzt. Allerdings ist Lauser der Meinung, seinen Menschen erst einmal genauestens untersuchen zu müssen. Leibesvisitation ist angesagt, im Fokus die üppig gefüllten Jackentaschen. Seinen kleinen Aktionsradius (schließlich ist er angebunden) reizt er dabei voll aus und windet sich hin und her – Wellness ist wohl grade nicht sein Thema. Seitengänge und halbe Vorhandwendungen vom Feinsten untermalen den manchmal sinnlosen Versuch, den Striegel zweckmäßig am Pferdekörper anzusetzen.
Leibesvisitation auf der Suche nach Leckerli: anerzogene lästige Futtersuche durch das Pferd.
Kurze Zeit später, die Dämmerung beginnt bereits einzusetzen, sind die Hufe ausgekratzt, der Sattel auf dem Rücken und das Zaumzeug am Kopf. Auf dem Weg zum Reitplatz wird bei einem kurzen Erfahrungsaustausch mit der Reitkollegin festgestellt (Lauser ist derweil auf Futtersuche in den Gesäßtaschen beider Reithosen fündig geworden), wie eigentlich brav die Gäule in letzte Zeit doch wieder waren. Und das bisschen Stress beim Putzen – meine Güte, Pferde sind halt auch nur Menschen und nicht jeden Tag gleich gut drauf.
Weitere zehn Minuten später ist es dann so weit und die Reitstunde kann beginnen. Blöd ist nur, dass Lauser nicht neben der Aufstiegshilfe stehen bleibt, sondern sich jedes Mal wegdreht, berührt der Reitstiefel den Steigbügel. Leider lässt sich das Problem auf die Schnelle nicht lösen, auch, weil keiner da ist, der den verdammten Gaul endlich mal fest hält. Irgendwann sitzt der Pferdebesitzer dann doch im Sattel und – reitet. Später, auf dem Weg zurück in die Stallgasse ist jeglicher Groll Vergangenheit und steht der süße Kerl dann in der Box, ist alles bestens. “Weil eigentlich ist er ja brav.“
Das Problem mit der eigenen Wahrnehmung
Zugegeben, dieses Szenario ist eigentlich überspitzt dargestellt. Aber die Realität zeigt jedoch, dass viele Unstimmigkeiten zwischen Mensch und Pferd auf dem Weg von der Box zum Reitplatz ihren Ursprung nehmen. Das Problem dabei ist, dass der Mensch seine eigene Wahrnehmung dem Pferd gegenüber nicht genug sensibilisiert und die vielen kleinen Zeichen, die sein Vierbeiner ihm sendet, schlichtweg übersieht. Das kann fatale Folgen haben, wenn sich die Missverständnisse aufsummieren.
Pferde testen uns, wenn sie mit uns zusammen sind. Sie tun das nicht, um uns zu ärgern, sondern aus ihrem natürlichen instinktiven Verhalten heraus. Sie wollen wissen, welche »Qualität« ihr Mensch hat und ob man bei ihm »sicher« ist. Die Antwort auf diese Frage entscheidet dann, ob das Pferd aus eigenem (Überlebens)Willen heraus handelt oder dem Menschen vertraut.
Im Gegensatz zu uns Menschen sind Pferde echte Profis in Sachen Körpersprache, ist es doch ihr bevorzugtes Kommunikationsmittel. Drum ist es für uns so wichtig, die Signale des Pferdes zu verstehen und richtig zu deuten. Reibt beispielsweise ein Pferd seinen Kopf an uns, bedeutet das nicht, dass es uns liebkost. Vielmehr testet es, ob wir uns bewegen lassen. Wenn wir darauf nicht achten und das zulassen, wird daraus ein Stupsen oder Rempeln, bis wir weichen. Das Pferd weiß nun, es kann uns bewegen.
Im Herdenverband hat das eine große Bedeutung: Derjenige, der den anderen bewegt (sendet), hat das letzte Wort und ist definitiv ranghöher. Da der Mensch und sein Pferd auch schon eine, wenn auch kleine Herde darstellen, können wir dieses natürliche Verhalten zum Wohle einer guten Pferd-Mensch-Beziehung für uns nutzen.
Pferde fühlen sich bei ihrem Ranghöheren wohl und lassen sich dann auch gerne aufhalftern.
Auch dürfen wir nicht den Fehler begehen, Pferdetraining am Reitplatz oder in der Halle vom Rest der gemeinsam verbrachten Zeit getrennt zu sehen. In Wahrheit bedeutet jede Minute, die wir mit unserem Pferd zusammen sind, ein gewisses Maß an Training. Denn vom ersten Moment des Zusammentreffens mit dem Vierbeiner stehen wir Menschen auf dem „Prüfstand“ – mal mehr, mal weniger.
Drum wird meiner Meinung nach, das Fundament für eine vertrauensvolle Pferd-Mensch-Beziehung bereits in der Box, auf der Koppel, in der Stallgasse oder am Putzplatz gelegt – dort, wo die Bodenarbeit ihren Ursprung findet.
Leckerli – Schaden oder Nutzen
Zum Schluss noch ein kleiner Exkurs zum Thema Leckerli. Da ich ein bekennender Freund des möglichst naturgerechten Umgangs mit Pferden bin, sind für mich Leckerli als Belohnung ein No-Go. Meiner Ansicht nach schaden sie mehr, als sie nutzen – zumal sie häufig (unbewusst) falsches Verhalten belohnen.
Pferde sind Beutetiere und Pflanzenfresser. Sie müssen nicht wie Raubtiere jagen, um satt zu werden. Auch läuft ihnen kein Grashalm davon. Futter ist nur Nahrungsaufnahme, zu der sie lediglich umherwandern, den Kopf senken und fressen müssen. Darum fassen Pferde Futter auch nicht als Belohnung auf.
Selbstversuch im Heunetz: So sehen »Leckerlipferde« den Menschen – mehr als Nahrungsspender denn vertrauensvoller Anführer.
Kein ranghöheres Herdenmitglied käme jemals auf die Idee, einem rangniedrigeren Futter zu bringen. Pferde sind zwar Herdentiere, weil ihnen das über Jahrmillionen hinweg den Bestand sicherte. Wenn es aber ums Überleben geht, ist jeder Vierbeiner sich selbst der Nächste.
Bei den zugegebenermaßen gestellten Fotos zu diesem Thema dauerte es keine fünf Minuten und die junge Schimmelstute fing an, uns nach Leckerli zu durchsuchen und an uns herumzuknabbern. Hätten wir diesem gut trainierten Pferd das nicht sofort wieder abgewöhnt, wäre wohl in kurzer Zeit ein »Schnapper« oder »Beißer« daraus geworden. Und mal ehrlich: unsere Pferde brauchen keine Leckerli. Sie werden deshalb nicht verhungern – ohne »eigentlich« und »aber«.